PD Dr. Fabian Beier, Dr. Yannick Schumacher, Dr. Jeanette Walter, PD Dr. Jens Panse, Katharina Remih
ESH-EBMT translational research conference vom 18.11.20.11.2022 in Paris, Frankreich, auf dem ESH-EBMT-Meeting über bone marrow failure syndromes
Am 18.11.2022 wurde in Paris das zweite Treffen der weltweit führenden Spezialisten für Knochenmarkerkrankungen abgehalten. Dabei ging es vor allem um Aplastische Syndrome, die Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) und vererbbare Erkrankungen, die zum Versagen der Blutproduktion führen. Im Englischen werden diese Erkrankungen unter Begriff bone marrow failure syndromes (BMFS) zusammengefasst, der deutsche Begriff liest sich etwas sperrig: Knochenmarkversagen-Erkrankungen.
Über drei Tage hinweg wurden neue wissenschaftliche Erkenntnisse präsentiert, Übersichtsvorträge gehalten und es fand ein intensiver Austausch zwischen den Wissenschaftlern statt. Erfreulich war vor allem die Tatsache, dass viele junge Kollegen nach Paris gekommen sind und Forscher aus wirklich allen Teilen der Welt vor Ort waren (manche wurden z.B. auch aus Indien oder Australien zugeschaltet). Gerade für die jüngeren Kollegen bestand auch die Möglichkeit, in so genannten „meet-the-expert“-Runden, von erfahrenen Spezialisten Tipps und Tricks zu erhalten.
Das Meeting und die Inhalte wurden von Prof. Brümmendorf (Aachen), Prof. Peffault de Latour (Paris) sowie von Prof. Dufour (Genua) und Prof. Risitano (Avellino) geplant.
Die Stiftung lichterzellen fördert die Konferenz durch Reisestipendien.
Am ersten Tag fiel der Fokus auf angeborene Ursachen Aplastischer Syndrome. Hier standen vor allem neue klinische Fragestellungen und neu erkannte Syndrome im Vordergrund. Eine neue Mutation, die sogenannte MDM4–Variante, wurde von Herrn Dr. Robert Meyer aus der Humangenetik in Aachen, stellvertretend für das ABMF-Register vorgestellt. Bei der Identifizierung von Genen, die möglicherweise direkt im Zusammenhang mit der Entstehung bestimmter Erkrankungen (in diesem Fall mit dem Knochenmarkversagen) stehen, geht es immer auch um die Frage, ob solche genetischen Veränderungen potentiell therapeutisch angehbar sind und ob sich so auch generell ein besseres Verständnis zur Entstehung von Knochenmarkversagen allgemein ergibt.
Am Abend des ersten Konferenztages hatten insbesondere auch junge Forscher/Wissenschaftler die Möglichkeit, ihre Ergebnisse in einer Poster-Session zu präsentieren und mit den anderen Teilnehmern zu diskutieren (in der Regel beinhalten die Poster eine kurze und übersichtliche Darstellung der durchgeführten Studien/Untersuchungen und deren Resultate). Hierbei konnten auch Arbeiten aus Aachen präsentiert werden, die ihren Fokus auf die Lebensqualität von Patienten mit Aplastischer Anämie (AA) gelegt hatten. Darüber hinaus wurden in Kooperation mit Forschern der Charité in Berlin immunologische Arbeiten vorgestellt, die sich auf die Identifizierung von T-Zellen konzentrierten, welche eine Rolle in der Entstehung von Aplastischer Anämie spielen.
Als weiteres Highlight wurden erste Ergebnisse innovativer Gentherapien präsentiert. Auch erste Therapieansätze mit der Genschere CRISPR, welche in Zukunft hoffentlich weitere Therapiemöglichkeiten eröffnet, wurden für die angeborenen Ursachen von Aplastischen Syndromen gezeigt.
Am zweiten Tag standen dann erworbene Aplastische Anämien und die Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie im Vordergrund. Besonderes Interesse erweckte dabei die Arbeit über die Bedeutung des humanen Leukozyten-Antigens (HLA) bei der Aplastischen Anämie. In dem zugehörigen Vortrag wurden detailliert mögliche Mechanismen dargelegt, bspw. wie das Immunsystem Stammzellen erkennen kann oder über welche Stoffwechselwege dies erfolgt. Diese grundlagenwissenschaftlichen Arbeiten zeigen Mechanismen, wie Stammzellen versuchen, der Immunattacke gegen das Knochenmark zu entgehen und erweitern so deutlich unser Verständnis über die Entstehung der Aplastischen Anämie. Dadurch können in Zukunft hoffentlich mögliche neue Therapieoptionen entwickelt werden.
Weiter im Fokus standen Fragen wie die Entwicklung bösartiger Erkrankungen (z.B. Leukämien) bei Patienten mit Aplastischer Anämie. Dies wird als klonale[1] Evolution bezeichnet und wird insbesondere nach immunsuppressiven Therapien (IST) wie z.B. ATG und CSA (+ Eltrombopag) befürchtet. Stand der Wissenschaft und Expertenmeinungen ist aktuell, dass es nur wenige klar definierte und gleichzeitig klinisch relevante klonale Ereignisse gibt, die mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung von bspw. Leukämien vergesellschaftet sind. Viele weitere dieser genetischen Veränderungen lassen sich häufig schon zu Beginn der Erkrankungen nachweisen und haben oft nur geringe bis keine klinische oder therapeutische Relevanz für die Patienten.
Zudem wurden noch einmal ausführlich die Daten der Studien zur Therapie der AA mit Eltrombopag in Kombination mit ATG und CSA präsentiert und darüber diskutiert, ob es vielleicht zukünftig möglich sein wird, ATG durch eine Therapie in Tablettenform (z.B. mit dem Wirkstoff Ruxolitinib) zu ersetzen. Das würde dann bedeuten, dass die Behandlung der AA ausschließlich über Tabletten erfolgen könnte. Erste klinische Studien hierzu laufen bereits in den USA.
Der letzte Tag stand dann ganz im Zeichen der Paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie. Die zahlreichen neuen Komplementinhibitoren wurden präsentiert und es gab Vorträge zu herausfordernden Situationen in der Behandlung von Patienten mit PNH, wie z.B. die medikamentöse Therapie schwangerer Patienten, Patienten mit schlechtem therapeutischen Ansprechen sowie die Vor- und Nachteile, sowie möglichen neuen (Neben-)Wirkungen der sicher bald verfügbaren weiteren Komplementinhibitoren. Erneut wurde auf die Notwendigkeit zur internationalen Zusammenarbeit, die Register und die Teilnahme der Kliniken an Studien hingewiesen.
Abschließend lässt sich nur betonen, dass der erste in Präsenz stattfindende ESH-EBMT Kongress ein voller Erfolg war. Der Kongress als Zusammentreffen weltweiter Experten war ein Nährboden für neue Kooperationen und Projekte und stellt somit in Zukunft hoffentlich einen integralen Bestandteil in der Weiterentwicklung der Therapie betroffener Patienten dar.
[1] Klonalität beschreibt den Zustand einer oder mehreren Zelle(n), von einer (gemeinsamen) vorangegangen Stufe abzustammen. Die klonale Evolution beschreibt die Ansammlung aller genetischen Veränderungen, die sich über die Lebensdauer eines Individuums in diesen einzelnen Zell(-typen) angesammelt haben. Die Ausmaße solcher Veränderungen können stark variieren und von keinerlei Auswirkungen bis hin zur Entwicklung gut- sowie bösartiger Erkrankungen führen