Therapie und Behandlungsmöglichkeiten der Paroxysmalen Nächtlichen Hämoglobinurie nach den Leitlinien der DGHO

Unterstützende Therapie

Bei einer PNH ohne relevante Symptome (z.B. ohne Bauch- oder Brustschmerzen) und ohne Notwendigkeit zu Bluttransfusionen (Erythrozytengabe) sowie mit im wesentlichen unauffälligen Laborwerten (also z. B. ohne Hinweis auf eine Nierenfunktionsstörung) ist meist keine gegen das Komplementsystem gerichtete Behandlung (Komplementinhibiton) erforderlich. Geklärt werden muss, ob eine Thromboseprophylaxe notwendig und geeignet ist. Bei einer gesteigerten Blutregeneration (erkennbar durch erhöhte Retikulozyten) sollte bei Mangel Folsäure zur Unterstützung verordnet werden.

Bei einer behandlungsbedürftigen PNH, d. h., wenn durch die PNH relevante Symptome wie Fatigue oder Transfusionsbedürftigkeit verursacht werden, besteht eine Therapie aus folgenden möglichen Maßnahmen:

Allgemeines

  • Bei einem Hämoglobinwert ca. unter 7-8 g/dl werden üblicherweise Erythrozytenkonzentrate transfundiert, wenn Symptome vorhanden sind. Die Erythrozytenkonzentrate sollten bestrahlt, müssen aber nicht gewaschen sein.
  • Gabe von Folsäure (1-5 mg/Tag als Tablette) und bei einem Mangel auch Vitamin B12.
  • Bei vorliegendem Eisenmangel Gabe von Eisen unter Kontrolle des Eisenstoffwechsels.
  • Bakterielle Infektionen sollten möglichst früh mit einem Antibiotikum behandelt werden, da Infektionen zu Hämolysen führen können.
  • Bei auftretenden Hämolysen sollten Patienten viel trinken, falls nicht möglich, benötigen sie zusätzliche Gabe von Flüssigkeit als Infusion.


Antikoagulation

  • Nach einer aufgetretenen Thrombose benötigen Patienten längerfristige bzw. lebenslange Therapie zur Hemmung der Blutgerinnung. Bei den meisten Patienten ergibt sich daraus der Bedarf für die Therapie mit einem Komplementinhibitor; darunter kann die Thrombosetherapie evtl. auch beendet werden.


Immunsuppressive Therapie/Kortison

  • Eine Therapie mit Kortison bzw. Steroiden ist zur alleinigen Behandlung der PNH nicht geeignet.


Heilung


Die einzige mögliche Therapie, mit der eine PNH geheilt werden kann ist die allogene Stammzelltransplantation. Die Ergebnisse einer Stammzelltransplantation konnten in den letzten Jahren deutlich verbessert werden. Aktuell kommt aber bei Patienten mit PNH eine SZT nur dann in Frage, wenn gleichzeitig eine schwere Aplastische Anämie oder eine andere Erkrankung (bspw. MDS oder eine akute Leukämie) vorliegt. Der Grund ist, dass eine allogene Stammzelltransplantation im Vergleich zu den zur Verfügung stehenden Komplementinhibitoren noch mit mehr Komplikationen verbunden.

 

Medikamentöse Therapie

Der alleinige Nachweis eines PNH-Klons ergibt noch keine Indikation zur Einleitung einer Behandlung mit einem Komplementinhibitor. Entscheidend für den Beginn einer solchen Therapie ist eine stattfindende Hämolyse, die sich typischerweise durch dunklen Urin, Bauchkrämpfe und Fatigue sowie in Blutwerten mit niedrigem Hämoglobinwert und erhöhtem LDH-Wert zeigt.

 

1. Inhibition der terminalen Komplement-Kaskase

C5-Inhibition durch Eculizumab, Ravulizumab und Crovalimab
Eine Behandlungsmöglichkeit ist die Hemmung des terminalen Komplementsystems. Die Antikörper Eculizumab bzw. Ravulizumab und Crovalimab binden den Komplementfaktor C5 und blockieren somit die weitere Aktivierung des Komplementsystems. Eculizumab und Ravulizumab werden jeweils als Infusion verabreicht.
Crovalimab ist ein C5-Antikörper, der bei einem deutlich niedrigeren Spiegel im Körper ausreichend wirksam ist und einmalig als Infusion und dann als Spritze unter die Haut verabreicht wird.
Indikationen:

Eculizumab (Zulassung 2007) ist ein Medikament zur Behandlung von Patienten mit symptomatischer PNH.

  • In Langzeitstudien konnte gezeigt werden, dass Krankheitssymptome und Komplikationen verbessert werden konnten und dass die Lebenserwartung im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung fast normalisiert ist
  • Mittlerweile sind neben dem Originalpräparat (Soliris®) zwei Biosimilar-Produkte (Bekemv® und Epysqli®) für Eculizumab mit vergleichbarer Wirksamkeit zugelassen.
  • Eculizumab wird zunächst wöchentlich für 4 Wochen mit einer geringeren Einführungsdosis gegeben, gefolgt von einer Erhaltungsdosis alle 2 Wochen über ca. 30 Minuten.

Ravulizumab (Zulassung 2019) ist ein Medikament mit vergleichbarer Wirkungsweise wie Eculizumab. Es ist für Patienten mit symptomatische PNH zugelassen und die eine Eculizumab-Therapie über 6 Monate gut vertragen haben und darunter stabil waren.

  • Es wird gewichtsabhängig dosiert; unterschieden wird zwischen der Dosierung unter 60 kg und über 60 kg.
  • Nach zwei Wochen Einleitungsdosis Erhaltungstherapie alle 8 Wochen
  • Im Anschluss an die Infusionen wird eine Nachinfusion von 100 ml NaCl gegeben, um sicherzustellen, dass die gesamte Menge Ravulizumab, die sich im Schlauchsystem befindet, verabreicht wird.

Crovalimab (Zulassung 2024) wird bei Patienten mit symptomatischer PNH, und bei Patienten, die klinisch stabil sind, nachdem sie für mindestens sechs Monate mit einem anderen C5-Komplement-Inhibitor behandelt wurden, eingesetzt.

  • Es wird gewichtsabhängig dosiert. Unterschieden wird zwischen Gewicht von unter oder über 100 kg. Es gibt eine Initialdosis in Woche 1, die über 60 Minuten intravenös verabreicht wird. Am Tag 2 wird das Medikament bereits subkutan (als Spritze unter die Haut) verabreicht, und dann 1x/Woche in den Wochen 2 bis 4.
  • Ab Woche 5 können sich Patienten die jeweilige Dosis selbst alle vier Wochen spritzen.
Unter Therapie mit Eculizumab/Ravulizumab/Crovalimab sollten regelmäßige Kontrollen des Blutbildes, Retikulozyten, Hämolysekennzeichen (insbesondere LDH und Bilirubin), Eisenparameter (insbesondere Ferritin), PNH-Klongröße, Folsäure, Vitamin B12 und die Überprüfung auf Vorliegen einer möglichen extravasalen Hämolyse erfolgen.

Extravasale Hämolyse unter C5-Inhibitoren
Eculizumab, Ravulizumab und Crovalimab können nur die intravasale Hämolyse der PNH beeinflussen. Die extravasale Hämolyse entsteht bei manchen Patienten in klinisch relevantem Ausmaß erst unter Therapie mit C5-Inhibitoren und bleibt darunter unbeeinflusst. Extravasale Hämolyse (EVH) kann bei einem Teil von Patienten auftreten und eine Umstellung (oder Hinzunahme) auf einen (eines) proximalen Komplementinhibitors erforderlich machen. Ob ein C5-Inhibitor ausreicht, erkennt man am Transfusionsbedarfs, dem LDH-, dem Hämoglobin-Wertes sowie der absoluten Retikulozytenzahl (junge rote Blutkörperchen). Bei weiter bestehender, klinisch relevanter Anämie oder einer Verschlechterung sollte ggf. die Knochenmarkfunktion überprüft werden.
Eine andere Ursache für Anämie können auch Durchbruchhämolysen sein.


Risiken der C5-Inhibition

  • Aufgrund der Hemmung des terminalen Komplementsystems besteht ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit kapselbildenden Bakterien insbesondere Meningokokken. Daher sind entsprechende Impfungen wichtig.
  • Durchbruchhämolysen sind durch einen Anstieg des LDH-Wertes und Schmerzen sowie Fatigue gekennzeichnet. Diese können aufgrund einer Unterdosierung oder durch Umstände, die das Immunsystem aktivieren (z. B. Infektionen, Schwangerschaft etc.) bedingt sein.
  • Beim Wechsel der Therapie von Eculizumab und Ravulizumab auf Crovalimab ist zu beachten, dass es zu Immunreaktionen wie Hautentzündungen und Gelenkschmerzen kommen kann, weil beide Inhibitoren den gleichen Faktor binden. Die Ergebnisse der Studie speziell zum Wechsel von Ravulizumab auf Crovalimab mit Schwerpunkt auf diese Immunreaktionen ist noch nicht abschließend ausgewertet. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass aufgrund der langen Halbwertszeiten beider Substanzen die Beschwerden stärker und länger anhaltend auftreten können.

Video zum Thema PNH & Soliris

 

2. Inhibition der proximalen Komplement-Kaskade

A. Faktor-D-Inhibition
Danicopan (Zulassung 2024) ist ein Medikament, das Faktor D in der Komplement-Kaskade hemmt.
Danicopan wird zusätzlich (add-on) zu Eculizumab oder Ravulizumab als Tablette eingenommen. Es wird eingesetzt bei Patienten, die trotz C5-Inhibitor weiterhin niedrige Hämoglobinwerte und hohe Retikulozyten haben. Es verbessert die Hämoblobinwerte und reduziert die Transfusionsbedürftigkeit und die Ausprägung der Fatigue. Da der Körper Faktor D schnell abgebaut wird, muss Danicopan dreimal täglich eingenommen werden.

  • In den durchgeführten klinischen Studien hat sich die Lebensqualität von Patienten verbessert.
  • Dadurch dass die Therapie durch den C5-Inhibitor am terminalen Teil des Komplementsystems und durch den Faktor D-Inhibitor am proxymalen Teil der Komplementsystems ansetzt, also zweifach das Komplementsystem hemmt, ist diese Therapievariante im Hinblick auf mögliche Durchbruchhämolysen relativ sicher.
  • Regelmäßige Einnahme dreimal täglich
  • Die empfohlene Anfangsdosis beträgt 150 mg 3 x täglich im Abstand von je 8 Stunden und kann je nach klinischem Ansprechen auf 200 mg 3 x täglich erhöht werden. (Diese Dosiserhöhung erfolgte im Rahmen der entsprechenden Studie bei etwa 70% der Patienten)

B. Faktor-B-Inhibition
Iptacopan (Zulassung 2024) ist ein Medikament, das Faktor B in der Komplement-Kaskade hemmt (proximal). Es wird als 200 mg Kapsel zweimal täglich eingenommen. In den Studien zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Hämoglobinwerte sowie ein Abfall der Retikulozyten. Auch die Hämolyse wird kontrolliert und die Fatigue-Werte verbesserten sich. Iptacopan ist für alle Patienten mit PNH zugelassen.

  • Der Anstieg des PNH-Klons zeigt, dass die Hämolyse wirksam unterdrückt wird, macht aber auch deutlich, dass das Medikament zuverlässig alle 12 Stunden eingenommen werden muss, da es sonst zu Durchbruchhämolysen kommen könnte.
  • Beim Wechsel von Eculizumab zu Iptacopan, sollte die Behandlung mit Iptacopan nicht später als 1 Woche nach der letzten Eculizumab-Dosis beginnen.
  • Beim Wechsel von Ravulizumab zu Iptacopan, sollte die Behandlung mit Iptacopan nicht später als 6 Wochen nach der letzten Ravulizumab-Dosis beginnen.
  • Bei bestimmten Medikamenten kann es zu Wechselwirkungen kommen.

C. Faktor C3-Inhibition

Pegcetacoplan (Zulassung Dezember 2021) hemmt die Aktivierung der Komplementfaktoren C3 und C3b (proximal).
In Studien konnte bei Patienten mit fortbestehender Anämie (Hämoglobin < 10,5 g/dl) unter Therapie mit Eculizumab und einer hohen Retikulozytenzahl die Überlegenheit von Pegcetacoplan im Vergleich zu Eculizumab in der Verbesserung der Anämie, der Transfusionsfreiheit und auch der Lebensqualität der Patienten gezeigt werden. Pegcetacoplan ist zugelassen für alle Patienten mit PNH.

  • Das Medikament wird mit Hilfe einer Pumpe über 30 Minuten an zwei Körperstellen subkutan appliziert; Patienten können dies nach einer Eingewöhnungsphase selbst tun. Es ist wichtig, die Gabe des Medikaments zuverlässig durchzuführen.
  • Pegcetacoplan wird zweimal wöchentlich als subkutane Infusion von 1.080 mg in 20 ml Flüssigkeit gelöst verabreicht. Die Dosis wird an Tag 1 und Tag 4 jeder Behandlungswoche appliziert.
  • Die Infusion muss sofort nach Aufziehen dieses Arzneimittels in die Spritze begonnen werden. Die Verabreichung muss innerhalb von 2 Stunden nach Vorbereitung der Spritze erfolgen.
  • In der Zulassungsstudie ist bei einigen Patienten das Auftreten von Durchbruchhämolysen. beobachtet worden
  • Das Dosierungsschema kann bei Bedarf auf 1.080 mg alle drei Tage geändert werden
  • Die Therapie wird vier Wochen lang eingeleitet. Dabei werden die C5-Inhibitoren mit Pegcetacoplan für vier Wochen überlappend gegeben. D.h. Pegcetacoplan wird parallel zu zwei weiteren Gaben Eculizumab gegeben; bei Ravulizumab wird Pegcetacoplan vier Wochen nach der letzten Gabe von Ravulizumab gegeben.

 Risiken von Proximaler Komplementinhibition 

  • Aktuell gibt es noch keine Langzeitdaten zur proximalen Komplementinhibition z. B. über mögliche Nebenwirkungen auf das Immunsystem und Risiken von Infektionen. Um mehr Daten zu sammeln, sollten alle Patienten in das Internationale PNH-Register von IPIG aufgenommen werden. Weitere Informationen darüber finden Sie hier. Bitte fragen Sie dazu Ihren Arzt und helfen Sie durch Ihre Teilnahme, mehr Erkenntnisse über PNH und deren Behandlung zu gewinnen.
  • Durchbruchhämolysen unter proximaler Komplementinhibition: Die Ursache dafür kann in einer zu niedrigen Dosierung eines Komplementinhibitors liegen oder in einem so genannten Komplement-verstärkendem Ereignis, wie beispielsweise einer Infektion (häufigste Ursache einer Durchbruchhämolyse).
Unter alleiniger proximaler Komplementinhibition (Pegcetacoplan und Iptacopan kann es  u. a. durch die Zunahme des PNH-Klons der Erythrozyten zu deutlich kräftigeren Durchbruchhämolysen kommen. In einem solchen Fall sollten Patienten sich notfallmäßig ärztlich vorstellen. Nutzen Sie dafür den Patienten-Pass der Stiftung lichterzellen.

 

Besondere Situationen

Impfungen

Die Impf-Schemata für die einzelnen Medikamente finden Sie in den Leitlinien unter Punkt 6.2.3.6.

 

Unter jeglicher Komplement-Inhibition wird empfohlen, eine sogenannte stand-by Medikation bei sich zu tragen (pill in the pocket; dafür können Sie einen Schlüsselbundanhänger bei uns bestellen), um im Falle eines plötzlichen Auftretens von Fieber und Unwohlsein eine erste Antibiotikagabe zu sich nehmen zu können. Dafür eignet sich Amoxycillin/Clavulansäure 1.000/250 mg. Im Falle einer Allergie gegenüber Aminopenicillinen kann auch auf Ciprofloxacin 750 mg ausgewichen werden.

Schwangerschaft

Schwangerschaften bei Patientinnen mit PNH stellen in jedem Fall eine Hochrisiko-Schwangerschaft dar. Bei Kinderwunsch von PNH-Pat. sollte unter Abwägung aller Risiken und Komplikationen individuell eine Therapie mit Eculizumab erwogen werden, da es dazu bereits positive Erfahrung gibt. Ggf. muss bei Durchbruchhämolysen eine Dosisanpassung erfolgen (bis zu 900 mg wöchentlich). Von der Behandlung mit Ravulizumab sowie allen weiteren neu zugelassenen Komplementinhibitoren in der Schwangerschaft wird abgeraten, da dazu im Gegensatz zu Eculizumab bislang keine ausreichenden Daten vorliegen.

 

Besonderheiten bei medizinischen Eingriffen
Eingriffe, wie Operationen, zahnärztliche Interventionen und Impfungen sollten möglichst nach einer Gabe des Komplement-Inhibitors durchgeführt werden. Bei längerer Immobilität (z. B. im Rahmen von Operationen) sollte die Therapie mit einem Komplementinhibitor erwogen werden, um das erhöhte Thromboserisiko trotz ausreichender Blutverdünnung zu verhindern.

Was Sie bei PNH/AA noch bei einer bevorstehenden Operation beachten sollten, finden Sie hier.

 

AA/-PNH-Board der DGHO

Aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen AA und PNH bietet der Arbeitskreis „Klassische Hämatologie“ der DGHO Beratung im Rahmen der vierwöchentlich stattfindenden Onlinekonferenz für Pat. mit AA oder PNH an, die von PD Dr. med. Fabian Beier geleitet wird (Teams-basierte Online-Konferenz). Bei Interesse Kontaktaufnahme mit: Frau Joelle Schifflers,  jschifflers(at)ukaachen.de

QUELLE:
Schubert, J./Bettelheim, P./Brümmendorf, T.H./Burmester, P./ Göbel, U/.Höchsmann ,B./ Panse, J./Röth, A./ Schrezenmeier, H./Stüssi, G.: „Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)“ (2024) in den Onkopedia Leitlinien des DGHO unter https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/paroxysmale-naechtliche-haemoglobinurie-pnh/@@guideline/html/index.html (Letzter Zugriff: 28.02.2025)